Wo sind nur die Werte hin?
Kolumne | Ein kritisches Portrait unserer Zeit
„ I don‘t care! - I LOVE IT!“ quäkt es laut aus dem aktuellen Coca Cola Light Werbespot. „Nichts was Dich aufhält“ der bedeutungsschwangere Claim zur neuen Kampagne. Im Spot sieht man vier junge Mädchen, die es so richtig krachen lassen. „You want me down on earth, but I am up in space“, „You‘re from the 70ies but I‘m a 90‘ies Bitch!“ geht es im Original Song von Icona Pop weiter.
Eine klare Botschaft - Coca Cola weiß doch stets den aktuellen Zeitgeist zu treffen. Leben wir in einer Gesellschaft, in der „I don‘t care!“, auf gut deutsch: „Es geht mir am Arsch vorbei“ plötzlich höchstes Gut ist? Sind wir so übersättigt und richtungslos, dass uns im Grunde alles egal geworden ist? Was wird aus einer Gesellschaft ohne Werte, aber mit scheinbar absoluter Freiheit? Ist es wirklich so erstrebenswert „von nichts aufgehalten zu werden“, wie Coca Cola es uns verspricht?
Sicher, in keinem Zeitalter ist individuelle Selbstverwirklichung so einfach gewesen. Nicht nur einfach - für uns ist sie fast ein Grundrecht. Heute können wir alles haben und alles sein. Wer davon keinen Gebrauch macht, ist selber Schuld. Diverse Castingshows machen es vor, der pöbelnde Kleinkriminelle wird über Nacht zum gefeierten Pop Sternchen, zumindest eine Zeit lang. Aber auch das nutzt sich ab, die Quoten sinken, eigentlich haben wir alles schon gesehen. Übrig bleibt ein fader Nachgeschmack, überhaupt sind wir abgeklärt und konsummüde, so klagt zumindest der Einzelhandel. Selbst aufwändige Image Kampagnen und verlockende Werbeversprechen ändern nichts daran - alles ist irgendwie gleich und wir vom Überangebot abgestumpft. Traditionsverbundene Claims von vor 10 Jahren werden auf einmal wieder hervorgekramt, weil die hippen Werbesprüche teurer Agenturen ihre Glaubwürdigkeit verloren haben.
Auch bei der Geburtenrate unseres Landes zeigt sich die Wirkung des neuen Zeitgeistes. Wenn man alles haben kann, scheint es wenig erstrebenswert sich 18 Jahre auf etwas oder Jemanden festzulegen. Die Fülle der Möglichkeiten ist zu süß, um sich nur für eine zu entscheiden. Das Ganze beginnt schon auf dem Single Markt deutscher Metropolen, dort werden neue Partner durchprobiert, wie man sonst nur seine Socken wechselt. „Es könnte ja noch etwas besseres kommen“, ist das gängige Mantra, das Ergebnis unzählige Singels, die Jahre lang allein bleiben und boomende Onlinedating-Börsen.
Wo also führt das hin, wenn nichts mehr ‚Wert-hat‘? Eine Kultur, die den Hedonismus des Einzelnen feiert und damit eine ganze Gesellschaft zu Grunde richtet. Alles ist zu haben, aber nichts mehr interessant. Ist es also doch die Begrenzung, die am Ende glücklich macht?
Autor: Florina Linke | Kategorie: Gesellschaft | Veröffentlicht am 22.07.2013
Florina Linke ist studierte Wirtschaftspsychologin und Gründerin der Linke Advisors GmbH in Berlin. Sie schreibt Kolumnen und Fachartikel über wirtschaftlich relevante Themen und Trends.