Verliebt, verlobt, verheiratet - geschieden
Oder: Das Eheparadox

Kolumne | Auszüge aus einer Untersuchung zum Thema Ehe bzw. Scheidung

 
Warum heiraten Menschen eigentlich? Eine Frage, die man sich in der westlichen Welt immer öfter stellt. Heiraten ist schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr. Und Notwendigkeit schon gar nicht. In Zusammenarbeit mit einer Anwaltskanzlei für Scheidungsrecht haben wir uns mit dem Thema Ehe beschäftigt, haben untersucht warum Menschen heiraten und was passieren muss, um das heilige Band der Ehe wieder durchtrennen zu wollen. Was verspricht sich der moderne Mensch von Ehe? Worum geht es in der Ehe? Was sind nebst rationalen Gründen die unbewussten Motive eine Ehe einzugehen und warum werden sie offenbar so oft enttäuscht? Was sind die Klippen, die erfolgreiche Ehepaare umschiffen müssen?

„Eigentlich ist er bis heute noch mein Traummann.“, beichtet Martina mit zitternder Stimme. Martina ist Mitte 50, eine bodenständige, resolute Frau, sie lebt in Brandenburg. Vor 10 Jahren hat sie sich von ihrem Mann Andreas scheiden lassen. Andreas war ihre erste große Liebe, als sie sich kennenlernen ist sie 16 und er 19, geheiratet wird fünf Jahre später. „Meine Hochzeit war keine Traumhochzeit, aber wir waren jung und verliebt - das hat gereicht. Wir wollten einfach nur zusammen sein.“

Das Bedürfnis danach eine feste Bindung einzugehen, eine Familie zu gründen, scheint irgendwo tief in uns angelegt zu sein. In der Tierwelt sichert die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder einem Rudel das tägliche Überleben. Doch auch uns Menschen liegt es in den Genen Teil einer Sippe sein zu wollen. Nimmt man es genau, basiert unsere Gesellschaft pyramidenartig auf dem Zusammenschluss unzähliger Familien. Ein Mitglied von Familie A heiratet ein Mitglied von Familie B und schon entsteht Familie C. Bekommen die Beiden ein Kind, gründet das später vielleicht wieder eine neue Familie. Und so weiter und so fort. So werden kulturelle und familienspezifische Werte von Generation zu Generation weitergegeben, entwickelt und ergänzt. Bei einer Ehe geht also einerseits um das Bewahren von Werten & Ritualen und anderseits darum, eigene Maßstäbe und Familiengesetze zu entwickeln und festzulegen. Dass das nicht immer einfach ist liegt in der Natur der Sache.

„Nach der ersten Euphorie kam schnell die Enttäuschung.“, berichtet Martina weiter von ihrer Ehe. „Andreas war Seemann bei der Handelsflotte und deshalb viel unterwegs. Ich war es gewöhnt mich alleine durchzubeißen, aber gefehlt hat er mir immer.“ Nach einer langen Phase der räumlichen Trennung, in der Martina ihr Studium beendet, verliert Andreas seinen Job und das Pärchen zieht dauerhaft in eine gemeinsame Wohnung. „Das war eigentlich der Punkt an dem es nicht mehr so richtig lief, so sorgenfrei.“ erinnert sich Martina, „Jeder wollte sich durchdrücken. Ich wurde richtig zum Trotzkopf: Will nicht. Mag nicht. Geht nicht. Es gab viel Streit, aber wir sind trotzdem unseren Weg weitergegangen.“

Entscheiden sich zwei Menschen eine Gemeinschaft zu bilden, müssen viele Dinge neu ausgehandelt werden, die jedem einzelnen vorher ganz selbstverständlich vorkamen. Neben offensichtlichen Dingen wie Wohnort, Finanzen oder der Wohnzimmergestaltung müssen auch implizite Regeln und Rollenverteilungen entschieden werden. Wie wollen wir sein als Paar? Was für Ziele haben wir im Leben? Für welche Werte stehen wir? Wie kommunizieren wir miteinander und wie ist unsere Streitkultur? Das Entwickeln einer gemeinsamen Identität ist dabei anspruchsvoller als man sich das vielleicht vorher vorgestellt hat. Beide müssen dabei von gewissen Ich-Anteilen Abschied nehmen - zu Gunsten des neuen „Wir“. Und das - wenn die Ehe erfolgreich ist - bestenfalls für den Rest des gemeinsamen Lebens.

Früher wurde ein Jüngling erst wirklich zum Mann, wenn er eine Frau heiratete und damit selbst den Platz als Oberhaupt einer Familie einnahm. Heiraten bedeutet irgendwie auch erwachsen zu werden, es ist ein Akt der Schöpfung. Man gestaltet sein Leben, wählt einen Lebensstil und grenzt sich dabei unmissverständlich als Einheit nach außen ab. Nicht mal vor Gericht müssen Eheleute gegeneinander aussagen und auch finanziell bildet das Konzept Ehe einen Schutzraum. Die Schließung einer Ehe - wie das Wort Schließung schon impliziert - beinhaltet eine große Festig- und Verbindlichkeit. In einer Welt voller Möglichkeiten bauen zwei Menschen ihre eigene kleine Burg, nunmehr gemeinsamer Alltagsort und Rückzugsraum für die nächsten Jahre oder Jahrzehnte.

Und genau an dieser Stelle liegt die eigentliche Herausforderung einer Ehe. Sie muss den Spagat zwischen Festigkeit und Veränderungsbereitschaft meistern. Gemeinsame Regeln, Ziele und Rollenverteilungen, die mühevoll ausgehandelt und entwickelt wurden, dürfen nicht in Stein gemeißelt bleiben. Aber hieran scheitern viele Ehen: Die gemeinsam aufgebaute Burg, die eigentlich Schutz nach außen gewährleisten soll, wird zum Gefängnis, weil sie zu wenig Entwicklungsfreiraum bietet und dabei einen Totalitätsanspruch fordert. Weiterentwicklung ist mitunter schon als Einzelperson schwierig - in einer engen Gemeinschaft bringt es aber das Gesamtsystem ins Wanken. Das heißt der Partner muss sich mitentwickeln ob er will oder nicht. Zumindest wenn die Ehe fortbestehen soll.

Spricht man mit Menschen über die Gründe ihrer Scheidung ist das Antwortspektrum breit. Was sie gemeinsam haben ist eine Grenzüberschreitung - ob aktiv oder passiv - die den initialen Startschuss zur Scheidung ausmacht. Die gemeinsame Welt funktioniert nicht mehr, ist zu eng oder auch zu verwässert geworden, einer von beiden möchte sich nicht mehr an die impliziten Spielregeln halten. Stellt sich der Partner nun stur und ist nicht zu „Neu-Verhandlungen“ bereit, bleiben dem Veränderungswilligen nicht viele Möglichkeiten: Entweder er trennt sich oder leidet stumm vor sich hin und sucht sich indirekte Wege um sein Bedürfnis nach Veränderung durchzusetzen. Nicht selten endet das in einer Affäre oder einem Seitensprung, was schlussendlich den anderen Partner in Zugzwang bringt, der nun ebenfalls nicht mehr mit der Gesamtsituation zufrieden ist. Der ganze Scheidungs- und Trennungskonflikt hat in Regel eine starke Macht - Ohnmacht Dynamik im Zentrum. Beide fühlen sich auf ihre eigene Art und Weise ohnmächtig und entmachtet. Der Gang zum Scheidungsanwalt ist nicht selten der Versuch wieder Kontrolle über das eigene Leben zu bekommen.

Wie diese Grenzüberschreitungen oder Regelbrüche nun im Einzelnen aussehen, ist individuell ganz verschieden. Fast immer verbirgt sich dahinter jedoch ein Veränderungswunsch. Der eine beginnt eine erfolgreiche neue Karriere und merkt plötzlich, dass er keine Lust mehr auf die passive Rolle in seiner Beziehung hat. Oder die Geburt eines Kindes bringt das alte Gefüge durcheinander und wird zum Mittelpunkt unterschwelliger Machtkämpfe. Die bisher unterlegene Partei hat in seiner Rolle als Elternteil nun endlich genug Munition sich gegen den Partner aufzulehnen. Ein anderes Pärchen hatte bisher eine Art „Fern-Ehe“ geführt und es kommt zum Eklat, als der gewohnheitsmäßig abwesende Partner seinen Job im Ausland kündigt und bei seiner Ehefrau dauerhaft einziehen will. Diese ist von der plötzlichen Nähe überhaupt nicht begeistert und sucht sich prompt einen Liebhaber.

„Andreas und ich haben uns dann auf seinen Wunsch eine Eigentumswohnung gekauft. Ich war mittlerweile ein richtiger, kleiner Energiebolzen im Job und immer unterwegs. Ihm gefiel das gar nicht. Er kaufte dann ohne meine Zustimmung ein Segelboot. Das war der Anfang vom Ende. Wir stritten nur noch. Er wollte das Boot als kleine Insel für uns. Ich fand das öde. Er fuhr dann immer ohne mich raus. Das war die Zeit in der ich begann Berlin auf eigene Faust zu erkunden.“ In Berlin lernt sie schließlich Jakob kennen. Obwohl zwischen ihnen nie etwas passiert ist, führt diese Begegnung schlussendlich zur Trennung des Paares.

Die Reihe der Beispiele lässt sich schier endlos weiterführen. Ob es am Ende tatsächlich zur Scheidung kommt hängt von einer Reihe anderer Faktoren ab. Von einer gesunden Ehe, in der beide zufrieden sind, lässt sich bei solchen Geschichten aber schon lange nicht mehr sprechen. Im Grunde müssten die Burgmauern der gemeinsamen Welt erweitert werden, es müssten Modalitäten gefunden werden, wie sich neue Veränderungsimpulse in das bisherige Lebensmodel integrieren lassen. Es gibt sicher spezielle Fälle, in denen sich da kein gemeinsamer Nenner finden lässt. Wo die Wünsche und Bedürfnisse der beiden Partner zu weit auseinander gehen. Doch prinzipiell kann es auch positive Überraschungen geben, zu einer neuen Lebendigkeit zwischen den Eheleuten führen, wenn sie sich auf ein gemeinsames Umbauprojekt einlassen. Von den ganzen zurückgelassenen Ich-Anteilen gibt es sicher auch beim Partner noch welche, die er gern mal wieder aus der Mottenkiste holen würde.

Am kritischsten scheint es für Paare zu sein, die sich für keinen dieser Wege entscheiden. Die das Trennungsjahr ins schier Unendliche ausdehnen. Die weder endgültig einen Schlussstrich ziehen, noch ernsthaft versuchen ihre Ehe zu retten. Sie hängen mit einem Bein in einer alten Ruine und ignorieren die Tatsache, dass sie einsam, verlassen und tot ist. Der Zustand ist bequem: einerseits hat man seine Freiheit zurück, andererseits hängt man noch in einer Verbundenheit mit dem alten Partner, die alle Einsamkeitsgefühle überdeckt. Auch der eigentliche Konflikt, der zur Trennung führte, bleibt unbehandelt. Neue Konflikte, mit neuen Partnern werden abgeschwächt, da man gar nicht wirklich frei ist.

Martina berichtet von den 7 Jahren in denen sie und Andreas getrennt gelebt haben. „Wir haben uns in den ganzen Jahren immer wieder gesehen und auch geholfen. Hatten immer wieder engen Kontakt, auch wenn er andere Frauen gesehen hat. Es war ein ewiges Hin und Her. Da war immer eine leise Hoffnung und dieses starke Zusammengehörigkeitsgefühl.“ Martina ist mittlerweile viele, viele Jahre Single. „Ich hatte auch immer vor, mein Leben noch mal neu zu gestalten und eigentlich wollte ich auch noch Kinder kriegen. Aber ich traf einfach keinen Mann, der es ernst mit mir meinte. Mein Freundeskreis machte in dieser Zeit viel Druck, endlich geordnete Verhältnisse mit Andreas zu schaffen und mich scheiden zu lassen.“

Erst als Andreas Jahre später ein Kind mit einer anderen Frau erwartet, kann sie loslassen und besteht letztendlich auf die Scheidung. Heute hat Martina einen neuen Partner, er heißt ebenfalls Andreas - sie führen eine glückliche Beziehung, ihren Kinderwunsch konnte sie sich aus Altersgründen jedoch nicht mehr erfüllen.

Autor: Florina Linke | Kategorie: Gesellschaft | Veröffentlicht am 21.02.2014

Florina Linke ist studierte Wirtschaftspsychologin und Gründerin der Linke Advisors GmbH in Berlin. Sie schreibt Kolumnen und Fachartikel über wirtschaftlich relevante Themen und Trends.


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