Von der Last ein Prinz zu sein
Oder: Who wants to hire someone who can´t commit?

Kolumne | Wenn gesellschaftliche Störungen salonfähig werden

 
Die Ansprüche unserer Gesellschaft an Leistungsfähigkeit und Perfektion des Einzelnen sind zunehmend gestiegen. Die Angst zu versagen, egal ob im Job oder im Privatleben, schwebt omnipräsent über unseren Köpfen. Gleichzeitig herrscht ein kollektives Sinn-Vakuum, das es schwer macht einen Ausgleich für den Druck zu finden. Wie zeigen sich diese Entwicklungen in der Arbeitswelt? Was bedeutet es für Angestellte und Arbeitgeber? Einblicke in eine Generation im Leistungsfieber und Versuche einer Ursachenforschung.

Commitment. Zu deutsch: Hingabe, Verpflichtung oder schlicht - Bindung. Laut der Evolutionsforschung Basis unseres Mensch-Seins, die Soziologie sieht es als „elementarste Vorraussetzung des Menschen, um gesellschaftlich erfolgreich zu leben“.

In der Steinzeit noch essentiell für die Sicherung des täglichen Überlebens, gibt es auch heute nachweislich kaum etwas, was langfristig glücklicher machen soll, als die Fähigkeit soziale Beziehungen und Bindungen einzugehen. Wer sie in seinen allerersten Jahren nicht erlernt hat gilt sogar als zeitlebens geschädigt. „Soziale Bindungen“ beschränkt sich dabei nicht auf Partnerschaften, sondern meint jede Form des sozialen Miteinanders in verbindlicherem Rahmen, sei es mit der besten Freundin, der Familie oder der treuen Labrador-Hündin. Wie aber entsteht nun die Fähigkeit Bindungen einzugehen? Und wann gilt man offiziell als „bindungsgestört“?

Wissenschaftliche Erkenntnisse und Modelle zur Bindungstheorie gibt es viele, doch worin sich die Entwicklungspsychologen und Pädagogen offenbar einig sind: Der Grundstein des menschlichen Urvertrauens und damit einer gesunden Bindungsfähigkeit wird irgendwo zwischen den ersten Lebenstagen und den ersten drei Lebensjahren gelegt. Sind Bezugspersonen wie Vater und Mutter in dieser Zeit verlässlich anwesend und kümmern sich in angemessener Form um die frühkindlichen Bedürfnisse, steht einem gesunden Selbstbewusstsein grundsätzlich nichts mehr im Wege.

Werfen wir nun einen Blick in die deutschen Haushalte. Nach aktuellen Studienergebnissen sind über 40% der Mütter schon vor dem zweiten Lebensjahr ihres Kindes wieder berufstätig, vor dem dritten sogar an die 60% (Quelle: statistisches Bundesamt, 2010). Schaut man sich die Zahlen der erwerbstätigen deutschen Väter an steigert sich die Verblüffung: 83% der Väter von unter zweijährigen Kindern und 85% von unter 3 Jährigen sind wieder voll erwerbstätig. Verglichen mit den 90er Jahren sind diese Statistiken jedoch fast harmlos: Die Quote der Erwerbstätigen mit Kindern unter 3 Jahren lag bei Frauen je nach Bundesland zwischen 55% und 69%, bei Männern waren es stattliche 90%. Was passiert also mit den ganzen kleinen Kindern?

Generationsübergreifende Strukturen mit Großeltern im Haus gehören schon lange der Vergangenheit an. Bleiben letztlich offenbar überfüllte Kinderkrippen als zentrale Betreuungsstätte des deutschen Nachwuchses. Was diese frühe Entwurzelung für das frühkindliche Urvertrauen bedeutet, konnten wir bereits eingangs von der Entwicklungspsychologie lernen. Verschärft wird das Ganze durch wissenschaftliche Studien, die flächendeckend sehr hohe Stresshormon-Werte im Speichel von Kita-Kindern nachweisen konnten, verglichen mit Kleinkindern, die hauptsächlich von Mutter oder Vater versorgt wurden.

Wo liegt nun der Zusammenhang zur Wirtschaft? Was ist aus den ganzen zu früh entwurzelten Kindern der letzten Generationen geworden? Zu was für Erwachsenen haben sie sich entwickelt? Wofür stehen sie und wie gestaltet sich ihre Welt?

Man ist immer wieder gern verlockt eine Lanze für das 21. Jahrhundert zu brechen: Die Gegenwart ist bunt, schnelllebig, global, eben voller Möglichkeiten. Starre Regeln und Strukturen sind Vergangenheit, niemand wird mehr zu irgendwas gezwungen, in der westlichen Welt regiert die Wahlfreiheit. In jeglicher Hinsicht. Früher gehörte es zur Normalität, sein Leben in einem Unternehmen, einem Land, mit einer Frau oder einem Mann zu verbringen. Daran führte kaum ein Weg vorbei. Heute ist nichts mehr vorherbestimmt, begrenzt oder definiert. Man kann alles sein, alles haben - wenn man will sogar gleichzeitig. Hat man die Ehefrau satt, lässt man sich scheiden, Patchwork Familien sei dank, findet sich schnell eine neues Zuhause. Auch vom fiesen Chef muss sich keiner mehr jahrelang schikanieren lassen, nichts ist leichter als ein Jobwechsel. Dieses Spiel lässt sich beliebig fortsetzen, der moderne, kosmopolitische Mensch ist nicht einmal mehr an sein Geburtsland gebunden, liebt er doch zu sehr die Abwechslung.

Sind wir also wieder beim Thema Bindung gelandet und seinen Schattenseiten. Bindung bedeutet Begrenzung. Es bedeutet sich auf etwas festzulegen, auch wenn es unbequem erscheint . Und nebenan eine bunte Palette an Alternativen lockt - die, so liegt es in der Natur der Sache, nach einer gewissen Zeit auch wieder unbequem werden. Haben wir etwa verlernt uns mit Schwierigkeiten auseinanderzusetzen? Sind wir süchtig nach dem Neuen und Unverbrauchten?

Die in der Presse viel diskutierte „Generation Y“ ist offenbar der neue Maßstab für die Entwicklungen in der Arbeitswelt. Sie, die „high Potentials“ von morgen, die Generation der von 1990 bis 1980 Geborenen, will man werben und langfristig binden, aus ihnen soll einmal die Führungsriege der Zukunft werden. Wahre Wunderkinder sind sie: Innovativer, besser ausgebildet als alle Generationen zuvor und dabei auch noch frei von jedem hierarchischen Denken. Sie sollen Leichtigkeit in die Arbeitswelt bringen, Lebensgenuss, eine gesündere Work-Life-Balance. Von starren Arbeitszeiten halten sie gar nichts, überhaupt erwarten sie von ihrem Job in erster Linie Spaß und Selbstverwirklichung.

Sie fühlen sich wohl in der entgrenzten Welt, jonglieren spielend mit 300 virtuellen Facebook Freunden und tagesaktuellem Twitterfeed, arbeiten lieber in Coffee Shops als im Büro und stören sich nicht daran, wenn man sie für ein Jahr in die Dependance im Ausland schickt. Ganz im Gegenteil, will man sie halten muss man ihnen genau das bieten: ständige Abwechslung. Nichts fürchten sie mehr als Stagnation & Stillstand. Um gut zu funktionieren müssen sie ständig auf Achse sein. Neue Orte, neue Menschen, neue Herausforderungen. Keiner arbeitet sich so schnell ein wie sie, wird spielend leicht Teil neuer Netzwerke - aber ganz genau so schnell langweilen sie sich auch.

Nicht ohne Grund gelten sie als verwöhnt und schwer zu halten, ihre Erwartungshaltung und Rastlosigkeit macht es Unternehmen schwer sich auf sie einzustellen. „Why?“ ist die Frage, die sie stellen: Was bietet ihr mir? Warum soll ich zu Euch kommen? Welchen Sinn macht diese Arbeit? Fragen, die nicht immer leicht zu beantworten sind. Denn die Antwort, dass Arbeit in erster Linie die Existenz sichern soll, lassen diese Zwitter-Wesen aus Nomade, Netzwerker und perfektem Selbstdarsteller nicht mehr gelten. Sie wollen alles. Und scheinen doch nicht wirklich zu wissen wonach sie eigentlich auf der Suche sind oder wo sie es finden können. Ist die ständige Jagd nach neuen Be(s)tätigungs-Feldern in Wirklichkeit ein Selbstzweck? Ist ihr Hunger nach „mehr“ überhaupt jemals stillbar?

Die Ursachen für diese speziellen Bedürfnisse, Fähigkeiten und Forderungen haben bereits einige Studien genauer untersucht. Fasziniert ist man der Frage nachgegangen wo diese Mischung aus Leichtigkeit, unerschütterbarem Selbstbewusstsein und hoher Leistungsfähigkeit seine Wurzeln hat. Gelandet ist man - welch eine Überraschung - in der Kindheit. Nunmehr zweite oder dritte Generation, die ihre früheste Kindheit in der Kinderbetreuung verbracht hat, wissen sie intuitiv wie Gruppen funktionieren und sind wahre Meister darin, aus ihnen hervorzustechen. Neben der frühen Selbständigkeit, die sie erlernen mussten, wurden sie gefördert, verwöhnt und verhätschelt wie kaum eine Generation vor ihnen. Als Mamis und Papis ganzer Stolz wurden sie zu kleinen Prinzen und Prinzessinnen erzogen. Natürlich mit dementsprechender Erwartungshaltung an Leistung und Erfolg.

Vor dem Hintergrund unserer ausgeprägten Leistungsgesellschaft ist man vielleicht drauf und dran den Eltern dieser halben Übermenschen laut Applaus zu spenden. Durchschaut man jedoch einmal ihre glänzende Fassade, die schnellen Erfolgserlebnisse und ihre Fähigkeit sich selbst zu inszenieren, bleiben rastlose Menschen, die früh lernen mussten völlig autonom zu funktionieren. Sich überall anzupassen, in neuen Gruppen schnell Kontakte zu knüpfen, intuitiv die Spielregeln zu durchschauen. Auf unverbindliche Art und Weise charismatisch zu sein - das was sie haben für ihren Erfolg einzusetzen. Ehemals zarte Wesen, die sich nicht auf den Rückhalt einer engen Familienbindung verlassen konnten, sondern fast von Geburt an ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen mussten. Und das können sie gut. Fast in Perfektion. Sie haben die Mangelerscheinungen ihrer Kindheit zu einer Tugend gemacht. Haben derart effektive „Überlebensstrategien“ entwickelt, dass man sie heute zu den Gewinnertypen, den Helden unserer Gesellschaft zählt.

Kommen wir also zu unserer Anfangsfrage zurück. Wo liegen die Auswirkungen dieser Entwicklung? Wohin führt es, wenn eine Gesellschaft mehr und mehr aus solchen Menschen besteht? Menschen, die in erster Linie wissen wie man punktet, Menschen denen das Blenden und Überspielen fast schon zur zweiten Haut geworden ist.

Bringt man in diesem Zusammenhang die Immobilien-, Banken- oder Versicherungsbranche ins Spiel wird man wohl flächendeckend Zustimmung erhalten - Kopf schütteln, vielleicht sogar Abneigung. Begriffe wie Scharlatane, Blender, Haifische oder sogar Betrüger schießen uns da in den Kopf. Der Lehman-Crash ist nicht spurlos an uns vorbei gegangen. Drastische Beispiele, meint man vielleicht. Aber wie weit ist unsere restliche Gesellschaft wirklich davon entfernt? Geht unser gesamtes modernes Wertesystem nicht genau in diese Richtung? Hedonismus, schneller Erfolg - wenig echte Leistung. Und Konsum als ultimative Patent-Lösung für all unserer Probleme.

Und das ist eigentlich nur logisch. Wir haben es ja nicht anders gelernt. Eine Gesellschaft ist zwangsweise Spiegel ihrer Mitglieder, sie wird von ihnen gestaltet und geformt. Bekommt man nun schon mit der Muttermilch eingetrichtert, dass es nicht wichtigeres gibt, als „gut anzukommen“, prägt uns das unser Leben lang. Haben wir aber gleichzeitig gar nicht lernen können, echte soziale Bindungen einzugehen, weil unsere ersten wichtigen Bezugspersonen gar nicht stabil anwesend waren, bleibt uns gar nichts anderes übrig als genau das erst einmal zu faken. Oberflächlich mit allen gut auszukommen, ohne sich jedoch wirklich einzulassen.

Lebt man nun in einer Gesellschaft, in der genau das Normalität geworden ist, wird es schwer überhaupt einen Mangel wahrzunehmen. Wenn alles genau auf diese Unfähigkeit aufgebaut ist, - das ganze Wertesystem sozusagen verkehrt herum- wird auf einmal der eiskalte Narzisst zum Gewinner, Sensibilität oder Teamplay hingegen zum Handicap, das man versucht abzutrainieren. Klinisch betrachtet pathologisches Verhalten entwickelt sich zum kollektiv angestrebten Ideal. Nicht ohne Grund ist die Zahl psychosomatischer Erkrankungen wie Burnouts und Depressionen drastisch gestiegen, ist man doch viel mehr mit seiner Außenwirkung beschäftigt, als damit was einem wirklich gut tun würde. Echte soziale Bindungen zum Beispiel. Irgendwo ankommen vielleicht oder die Erfahrung, dass man schlussendlich gar keine strahlende Rüstung braucht, um geliebt zu werden.

Autor: Florina Linke | Kategorie: Gesellschaft | Veröffentlicht am 10.03.2014

Florina Linke ist studierte Wirtschaftspsychologin und Gründerin der Linke Advisors GmbH in Berlin. Sie schreibt Kolumnen und Fachartikel über wirtschaftlich relevante Themen und Trends.


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